Stellungnahme zum Polizeieinsatz

Andere Straßen haben auch schöne Häuser…
Am 16.07.2018 versuchten motivierte Aktivist*innen, das Haus der Bahnhofstraße 5a in Marburg zu besetzen. Motivation und Hintergründe wurden bereits auf dem Blog der Besetzung veröffentlicht 1 . An dieser Stelle wollen wir die Ereignisse dieses Tages aus unserer Sicht schildern.

Kurz nachdem die Polizei auf die Besetzung aufmerksam wurde, betraten die ersten Beamt*innen das Gelände. Ein klarer Rechtsbruch, da dafür eine Anzeige und/oder ein Durchsuchungsbeschluss hätten vorliegen müssen. Als sie entdeckten, dass sich niemand im Haus befand, wurden auf dem Gehweg stehende Menschen grundlos für die nächsten Stunden festgehalten. Auf die Frage, was das soll und mit welchem Recht dies geschieht, war die Antwort, dass es einen Verdacht auf eine Straftat besteht und die Personen „autonom aussehen würden“.

Trotz des heißen Wetters wurde den Betroffenen Trinkwasser und auch der Gang zur Toilette erst einmal verwehrt. Anderen Personen wurde es nicht gestattet, mit ihren Smartphones ihre
Anwält*innen anzurufen. Begründung: „Es ist so, weil ich es sage!“.
Eingesetzte Beamt*innen bekunden ihre Freude an den durchgeführten Maßnahmen und freuen sich auf „ein paar Mädels in Unterwäsche“. Hinweise auf Angststörungen von festgehaltenen Personen wurden nicht ernst genommen.
Ein paar Stunden später kam eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit an und zwang die eingekesselten Personen vor Ort ihre Personalien abzugeben. Außerdem wurden Fotos angefertigt und Durchsuchungen durchgeführt. Insgesamt waren circa 60 Polizist*innen am Einsatz beteiligt.

Es ist hierbei anzumerken, dass unseres Wissens nach im Moment des Geschehens keine Anzeige vorlag. Der Polizeieinsatz ist damit ein weiterer in einer Reihe von Machtdemonstrationen gegen progressive Bewegungen.
Mit der Hausbesetzung sollte ein Raum geschaffen werden, welcher gemeinschaftlich genutzt
werden kann um gesellschaftliche Perspektiven aufzubauen. Die „Bagatelle“ sollte ein Freiraum sein, in dem Solidarität ausgelebt wird und kulturelles und politisches Leben außerhalb von Kommerzialisierung stattfindet. In Zeiten des Rechtsrucks ist es umso wichtiger, emanzipatorische Orte zu erkämpfen und zu verteidigen.
Trotz des Polizeieinsatzes und den drohenden Repressionen lassen wir uns nicht entmutigen.

Dies war nur der Auftakt, der Widerstand wird weitergehen! Das Jahr der Hausbesetzungen hat grade erst angefangen!
1 https://bagatelle.blackblogs.org/2018/07/16/pm-fuer-einen-verantwortungsvollen-umgang-mit-leerstand-2/

PM: Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Leerstand

Am 16.07.2018 haben Aktivist*innen das leerstehende Haus und Grundstück in der Bahnhofstraße 5a in Marburg besetzt. Ziel der Aktion ist es, ein soziales Zentrum, die ‚Bagatelle‘, zu errichten und einen Freiraum zu schaffen, an dem sich alle Menschen beteiligen können.

Dies geschieht genau zur richtigen Zeit. Leerstand wird in Marburg nicht genutzt. Soziale Projekte werden verdrängt. Emanzipatorische Freiräume stehen kurz vor dem Aus. Von der Stadtregierung kann keine Hilfe erwartet werden. Gegen diese Zustände stellt sich das Projekt.

Der bezahlbare Wohnraum in der Marburger Innenstadt wird immer knapper. Menschen mit geringen und mittleren Einkommen haben kaum mehr eine Chance, zentralen Wohnraum in akzeptablem Zustand zu finden. Wie die Oberhessische Presse im Juni berichtete (1), gibt es ein massives Problem mit Leerstand in Teilen der Ketzerbach, rund um die Elisabethkirche und im Campus- und Südviertel. Die Häuser und Wohnungen würden teilweise bewusst hergerichtet, um den Leerstand zu vertuschen. Anstatt dieses Problem in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass Wohnraum für Menschen geschaffen wird, die ihn benötigen, schweigt die Stadtregierung zu diesem Skandal. Damit unterstützt sie die Immobilienspekulation in Marburg.

Die Mieten in der Oberstadt sind dermaßen hoch, dass sich Einzelhändler*innen diese nicht mehr leisten können. Obwohl viele Räumlichkeiten leerstehen, finden gerade Menschen, die selbstverwaltete und kollektive Projekte verwirklichen wollen, keinen geeigneten Platz.

Wir sind für einen verantwortungsvollen Umgang mit Leerstand“, sagen die Aktivist*innen Anna und Arthur. „Es kann doch nicht sein, dass auf der einen Seite die Verdrängung von Freiräumen um sich greift und es auf der anderen Seite so viel Raum gibt, der nicht genutzt wird.“

Angespielt wird hierbei wohl unter Anderem auf die inzwischen gekündigte linksradikal-feministische Kneipe Havanna8 (2), den von Räumung bedrohten Wagenplatz GleisX (3) und die ständig von Kürzungen betroffenen Kulturräume wie das trauma im g-werk (4). Statt den Interessen der Menschen vor Ort zu folgen, scheint es nur um ökonomischen Profit zu gehen. Räume, über die Menschen frei entscheiden können und gemeinschaftlich Projekte erschaffen, gibt es kaum noch.

Diese werden aber dringend benötigt. Orte, die gemeinschaftlich verwaltet und genutzt werden, um gesellschaftliche Perspektiven aufzubauen. Die Menschen in der ‚Bagatelle‘ erschaffen einen Ort, um kulturelles und politisches Leben außerhalb von Kommerzialisierung zu verwirklichen. Es muss mehr Freiräume geben, in denen Formen von Gesellschaft erprobt werden, die auf anderen Dingen basieren als Verwertbarkeit, Unterdrückung und Ausgrenzung. In solchen Räumen kann etwas entstehen, das in einer individualisierten Gesellschaft kaum mehr existiert: Solidarität, Widerstand, Rebellion. “Wir möchten hier aktiv mitgestalten und Sachen erschaffen, die unter den Bedingungen, die wir hier in der Stadt vorfinden, nicht möglich sind“ sagt die Aktivistin Bettina Setzerin. Es soll Platz geschaffen werden, um gesellschaftliche Probleme zu bearbeiten und neue Wege zu gehen. Gerade in Zeiten des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks ist es wichtig, Bastionen gegen die autoritäre Umgestaltung der Gesellschaft zu errichten und sich in diesen gegen rechte Akteur*innen zu organisieren.

Die ‚Bagatelle‘ soll ein Raum werden, in dem politischer Austausch stattfindet, in dem gemeinnützige Gruppen einen Platz finden. Einen Raum, in dem Musik, Kunst und Theater entstehen kann. Einen Raum, in dem sich Menschen gegenseitig unterstützen und selbstbestimmt miteinander leben. Einen Raum, in dem Menschen, die sonst aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, einen Platz finden können. Zu diesen Menschen zählen beispielsweise Geflüchtete und Menschen ohne festen Wohnsitz, die aus dem öffentlichen Stadtbild gedrängt werden. Zuletzt passierte dies sehr prominent in der neuen Parkordnung des Alten Botanischen Gartens, die nun den Aufenthalt nach 22 Uhr sowie den Konsum von Alkohol im Garten verbietet. Dies ist ein direkter Angriff auf die Menschen, die dort regelmäßig einen halbwegs sicheren Schlafplatz finden.

In der aktuellen gesellschaftlichen Lage ist es unabdingbar, Räume, die möglichst frei von Diskriminierungen und Unterdrückung sind, zu etablieren. Das Projekt baut deshalb einen Freiraum mit explizit hierarchie- und diskriminierungsfreiem Anspruch. „Für menschenfeindliches Gedankengut ist hier kein Platz und wird bei uns auch nicht geduldet. Wir wollen einen solidarischen Umgang miteinander haben“ stellt der Aktivist Horst C. Hofer klar.

Die Besetzer*innen planen das Gelände in ein soziales Zentrum umzugestalten und sind offen für Vorschläge und Ideen von Menschen, die sich in das Projekt einbringen wollen. „Wir laden Sie und euch herzlich ein, uns zu besuchen und Teil der ‚Bagatelle‘ zu werden. Welches politische Thema brennt euch unter den Nägeln? Wie wollen Sie dieses Viertel und das gemeinsame Leben in Marburg gestalten? Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? Bei Fragen und Anregungen sind wir immer ansprechbar und freuen uns über Austausch mit Ihnen und euch!“ heißt es in einem Brief an die Nachbar*innenschaft, die die Aktivist*innen so direkt ansprechen und für ihr Projekt begeistern wollen.

Die ‚Bagatelle‘ bittet um Sach- und Geldspenden jeder Art, beispielsweise für Bauvorhaben, einen Umsonst-Laden, die ‚Küche für Alle‘ oder eine gemütliche Innenausstattung. Natürlich sind Solidaritätsbekundungen in Form von Texten und Fotos sowie die Bekanntmachung des Projekts über verschiedene Kanäle auch eine gute Unterstützung. Der größte Support bleibt, vorbei zu kommen und Teil des Projekts zu werden!

Für die Besetzer*innen steht fest, kollektiv selbstverwaltete Freiräume sind in Marburg bitter nötig. Sie müssen erkämpft werden: Wir gehen hier nicht mehr weg!

Twitter: #besetzen #marburg #hausbesetzung #besetzenmr #bagatellemr

Mail: bagatelle.@riseup.net

Pressetelefon: folgt

Spendenkonto:

Kontoinhaber: Thomas Werther
IBAN: DE 80 5335 0000 1018 0099 40
BIC: HELADEF1MAR
Betreff: Bagatelle

(1) www.op-marburg.de/Marburg/Wohnungsmarkt-Haus-Eigentuemer-kaschieren-Leerstand-in-Marburg

(2) www.havanna8.net, www.savetheh8.noblogs.org

(3) www.gleisx.wordpress.com

(4) www.cafetrauma.de